Ressourcenorientierte Begleitung von Traumafolgen Teil I

 

You got to get yourself together

You´ve stuck in the moment and now you can’t get out of it

Oh love look at you now

You´ve stuck in the moment and now you can’t get out of it

I was unconscious, half asleep

The water is warm till you discover how deep

I wasn´t jumping …for me it was a fall

It´s a long way down to nothing at all

You got to get yourself together

You´ve stuck in the moment and now you can’t get out of it

Don´t say later will be better now

You´ve stuck in the moment and now you can’t get out of it

And if the night runs over

And the day won’t last

And if our way should falter

Along the stony pass

And if the night runs over

And the day won’t last

And if our way should falter

Along the stony pass

It’s just a moment

This time will pass

 

Song by U2

 

Die irische Gruppe U2 singt. You´ve stuck in the moment and now you can’t get out of it (Jetzt sitzt du fest und kannst dich nicht befreien.) Und so in etwa ist es bei Traumatisierten. Eine traumatische Erfahrung lässt Körper und Geist erstarren.

 

Menschen, die eine traumatische Erfahrung hinter sich bringen müssen, reagieren zunächst alle mit einer unmittelbaren Reaktion, die man traumatischen Stress nennt und die dem Menschen das Überleben ermöglichen soll.

 

Diese Reaktion wird vom autonomen Nervensystem gesteuert. Da werden keine Entscheidungen getroffen, sondern der Körper übernimmt das Kommando. Das geht vom Fluchtinstinkt über die Möglichkeit des Kampfes oder des passiven Erduldens.

 

Aber was bedeutet es für einen Menschen die traumatische Situation hinter sich gebracht zu haben und aus der Erstarrung nicht mehr heraus zu finden. Eine solches Phänomen nennen wir TRAUMA. Das ist das ERSTARREN.

 

Begleitung von Traumafolgen geht das, Dr. Ruth Mischnick, Trance, Hypnotherapie, Institut Bonn, Traumaheilung, Traumaintegration

 

Reaktionen des Körpers und des Geistes auf eine traumatische Situation

 

Eine bedrohliche Situation ist immer eine geistige und körperliche Erfahrung für einen Menschen, betrifft also Geist und Körper, selbst wenn das Ereignis dem Körper keinen unmittelbaren Schaden zufügt.

 

Bei der Konfrontation mit einer Situation, die als bedrohlich eingeschätzt wird, werden Geist und Körper in einen erhöhten Erregungszustand versetzt. Die psychische Reaktion ist die einer extremen Wachheit und Konzentration auf das Ereignis. Die Geistestätigkeit wird verengt und beschleunigt.

 

Körperliche Reaktionen sind das Ansteigen der Herzfrequenz, Atembeschleunigung, muskuläre Spannung.

 

Begleitet bzw. getragen werden diese Reaktionen von Gefühlen der Angst oder Furcht.

 

Diese Phänomene dienen aber dem Überleben des Menschen. Starke Erregung und der Zustand der Kontraktion ermöglichen Aufgaben zur Bewältigung der Bedrohung, etwa von Kampf, Flucht oder Eigenschutz. Die Muskeln spannen sich an.

 

Durch die Wachheit und Fokussierung versucht das Nervensystem sicherzustellen, dass sich alle Bemühungen auf die Bedrohung konzentrieren, um optimal reagieren zu können.

 

Mindestens zeitgleich kontrahieren die Muskeln des gesamten Körperbereiches. Durch die Kontraktion verändert sich der Atem, Muskeltonus und die Haltung des Menschen. Durch die Verengung der Blutgefäße in der Haut, in den Gliedmaßen und im Bauchbereich steht den Muskeln, die sich bereits im Zustand der Anspannung befinden und die sich auf eine Reaktion vorbereiten, mehr Blut zur Verfügung.

 

Manchmal treten noch intensivere Phänomene auf

 

Während eines bedrohlichen Erlebnisses kann es vorkommen, dass die Kontinuität des ganzheitlichen inneren Empfindens eines Menschen aufgehoben wird, er dissoziiert. Eine Dissoziation hat in diesem Zusammenhang wohl auch die Funktion des Schutzes.

 

Die Dissoziation ist unter anderem ein Mittel Erfahrungen und Geschehnisse auszuhalten und gleichzeitig auszuschalten, die als unerträglich erfahren werden. Dissoziation ist eine Möglichkeit, die geistige Tätigkeit von dem aktuellen Erleben zu trennen.

 

Es ist Abwesenheit des ganzheitlichen inneren Empfindens, welches normalerweise parallel zum äußeren Geschehen läuft. Die Dissoziation kann verschiedene Formen haben, bei denen es immer zu einer grundlegenden Trennung zwischen der Person und dem Körper, einem Teil des Körpers oder einem Teil des Körpers oder einem Teil der Erfahrung kommt.

 

Möglich ist auch, dass eine körperliche Erstarrungsreaktion auftritt. Sofern die Bedrohung als zu übermächtig erlebt wird, kann es zu tonischer Immobilität kommen. Es ist eine intensive Verteidigungsstrategie, über die fast jedes Lebewesen verfügt[1].

 

Das Nervensystem steuert die inneren Abläufe, um das Überleben zu garantieren. Die Reaktionen des Nervensystems – Kampf, Flucht, Immobilität – ähneln Reflexen, weil sie augenblicklich erfolgen, doch die ihnen zugrundeliegenden Mechanismen sind wesentlich komplexer als einfache Reflexe.

 

Ein bedrohliches Ereignis kann für die Person, die es durchlebt und überlebt hat, Folgen im weiteren Lebensverlauf haben. Das ist nicht unabdingbar für jede Person der Fall, aber viele Menschen leiden auch weiterhin unter dem Erlebten.

 

Begleitung von Traumafolgen geht das, Dr. Ruth Mischnick, Trance, Hypnotherapie, Institut Bonn, Traumaheilung, Traumaintegration

 

Was ist ein Trauma?

 

Es ist wichtig zu definieren, was hier unter einem Trauma verstanden wird

 

Das hat verschiedene Gründe. Das Wort Trauma wird inzwischen inflationär benutzt, auch in der Allgemeinsprache. Hinzu kommt, je nachdem in welchem Kontext dieses Wort gebraucht wird, hat es unterschiedliche Bedeutungen oder wird ihm ein anderer Sinn zugeschrieben. Manchmal wird das bedrohliche Geschehen als solches bezeichnet, manchmal die nachträglich auftretenden Symptome.

 

Die Definition, die hier angeboten wird, speist sich aus einem systemischen Verständnis. In diesem Zusammenhang bedeutet das, es ist wichtig, zu welchem Zweck die Definition gewählt wird. Das „Wofür“ steht im Vordergrund.

 

Traumata können ausgelöst werden durch Ereignisse, die einen Menschen in seinem körperlichen und seelischem Identitätsverständnis, in seinem Integritätserleben massiv verletzen. Es können Fremdeinwirkungen sein, die durch die Natur, einen Unfall oder aktiv durch einen anderen Menschen bewirkt werden. 

 

Im Hinblick auf eine Therapie ist wichtig hervorzuheben, welche Erklärungszusammenhänge es gibt.  Von vielen Therapeuten werden die Dinge als linear-kausal in diesem Sinn angesehen: Weil dort das Trauma war (Ursache), ist heute die Wirkung so.

 

Schon Viktor Frankl hat das wiederlegt. Ein bedrohliches Ereignis an sich führt nicht zwangsläufig zu anhaltenden Störungen.

 

Natürlich ist eine traumatische Erfahrung eine massive Belastung.

 

Seit den Forschungsansätzen von Abraham Maslow, der Flowforschun von Mihaly Csikszentmihalyi, aber auch über die systemische Lösungsorientierung an sich, im analytischen Feld über die Salutogeneseforschung, steht fest, dass Menschen schrecklichste Ereignisse völlig verschieden verarbeiten.

 

Begleitung von Traumafolgen geht das, Dr. Ruth Mischnick, Trance, Hypnotherapie, Institut Bonn, Traumaheilung, Traumaintegration

Wie kann man sich das erklären? Was ist der Unterschied?

 

Eine Möglichkeit das Geschehene zu verarbeiten zeigt die persönliche Geschichte Viktor Frankls. Ihm war es möglich, sich auch in schwierigsten Situationen vorzustellen, dass er noch Gestaltungsfähigkeit habe. Er hatte in gewisser Weise ein lösungsorientiertes Verständnis und das Zutrauen, dass er die Zukunft wieder nutzen könnte. Seine Vision war, in dieser Welt, seinem Leben sinnhafte Entwürfe zu entwickeln und ihnen nachzugehen.

 

Damit scheint es möglich, schreckliche Ereignisse besser zu verarbeiten zu können, wenn noch ein sinnstiftendes höheres Element vorhanden ist. Ein Buchtitel von Viktor Frankl heisst: Wer ein Warum zu leben hat …erträgt fast jedes Wie.

 

Es zeigt sich damit aber: Das Ereignis ist nicht allein das, was das Erleben in der Gegenwart einer Person allein bestimmt. Diese Überlegungen haben alle eine Konsequenz für professionelle Tramabegleitung von Personen, die sich nicht aus der Erstarrung lösen können.

 

Welche Thesen mich bei der Arbeit mit Personen leiten, die unter einem Trauma leiden, möchte ich im Folgenden aufzeigen!

 

 

Körper und Geist sind voneinander untrennbare Anteile eines dynamischen Systems

 

Die Tatsache, dass Körper und Geist untrennbar voneinander sind, war vor dreißig Jahren eine These, die revolutionär erschien. Heute ist sie durch die Forschung der Neurophysiologie Gemeingut geworden.

 

Diese Anschauung hat Folgen: Sofern sich ein Anteil der Person verändert, hat dies Konsequenzen für alle übrigen Teile dieser Entität: Die Psyche, die Emotion, das mentale und das spirituelle System, sowie die ganze Balance des Menschen verändern sich.

 

 

Bewusstheit ist der Schlüssel zur Veränderung

 

Jeder von uns besitzt physische und emotionale Muster. In der Regel sind wir uns dessen nicht bewusst und wir wissen auch nicht wie diese Gewohnheiten unser Leben beeinflussen, weil wir sie oft unbewusst erlernt haben oder der Lernprozess ist aus dem Gedächtnis geraten.

 

Um Gewohnheiten zu ändern, müssen sie uns bewusst sein oder wieder werden. Bewegung, Berührung, verbale und kreative Intervention können die Bewusstheit erhöhen. Bewusstheit bedeutet in letzter Konsequenz, dass wir in den Genuss von Optionen und Alternativen kommen.

 

 

Veränderung geschieht in der Gegenwart

 

Wir erfahren unsere Erinnerung der Vergangenheit und wir fantasieren über die Zukunft, aber Veränderung geschieht nur in der Gegenwart. Indem wir uns physisch und psychisch auf die Gegenwart konzentrieren, können wir unsere Beziehung zur Vergangenheit verändern.

 

Die moderne Neurophysiologie ist auch in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Erleben ist das Ergebnis von Aufmerksamkeitsfokussierung. Dahin, wo Aufmerksamkeit hingeht, geschieht psychophysische Realität.

 

Jeder besitzt die natürliche Kapazität zur Selbstheilung

 

Die innere Fähigkeit zur Heilung ist bereits im Körper vorhanden, doch vielleicht noch nicht zugänglich.

 

Hilfreich zur Veränderung und Heilung können nur Ressourcen sein, die bereits in der betreffenden Person angelegt sind. Davon gibt es aber in jedem Fall eine ganze Reihe. W

 

ie die Art gestaltet werden kann, dieses individuelle und einzigartige Wissen fruchtbar oder wieder fruchtbar zu machen, ist der einzigartigen Kooperation zwischen Unterstützer und Klient vorbehalten. Eine Lösung, die nicht schon bereits innerlich vorhanden wäre, kann gar nicht zur Veränderung führen

 

 

Dritte können nur unterstützen

 

Als jemand, der anderen zur Veränderung verhelfen will ist es wichtig, die eigenen Position zu bestimmen. Das, was Unterstützer anbieten können, ist die Einladung, den Prozess zu begleiten, zu unterstützen. Der Unterstützer fungiert lediglich als Katalysator. Der Prozess kann langsam sein, und muss so langsam, wie er sein sollte.

 

Wenn Veränderung erfolgt, erfolgt sie von innen nach außen, sie kann nie von außen nach innen erfolgen, um authentisch zu sein oder nicht gewaltsam angetragen zu werden oder als Grenzüberschreitung gewertet zu werden.

 

 

Veränderte Bewusstseinsstadien können die Veränderung unterstützen

 

Verschiedene Zustände des Bewusstseins, wie etwa die Trance, Hypnose sind als natürliche Phänomene des Körpers bereits angelegt. Trance und Hypnose sind hilfreich, denn sie ermöglichen es der betreffenden Person mit sich selbst in Kontakt zu treten, und die Umwelt und andere Faktoren für einige Zeit zu vernachlässigen.

 

Es kann ein innerer „Dialog“ in Gang gesetzt werden, der zu den bereits vorhandenen, aber noch nicht zugänglichen Ressourcen führt.

 

 

Aktives Tun ist für andauernde Veränderung unerlässlich

 

Sofern die neugewonnenen kognitiven Einsichten, Ressourcen nicht in das tägliche Leben integriert sind, sind sie nicht wirkliche Veränderungen, bleiben vielleicht abstraktes Wissen, dass wieder verdrängt werden kann.

 

Integration von Neuem, von Wissen, von Veränderung geschieht auf verschiednen Ebenen. Worte, Bewegung, Wahrnehmung, Emotion. Gedächtnis und Vorstellung. Der Trick ist, das Erlernte zunächst auch weiterhin anzuwenden.

 

So werden Vergangenheit und Gegenwart nutzbar, integriert mit neuen Gefühlen und Wahrnehmungen und Koordinationen. Praktisches Tun ist der Weg zur Heilung. Regelmäßige Rituale unterstützen diesen Prozess.

 

In meinem nächsten Artikel werde ich beschreiben, welche konkreten Interventionen ich meinen Klient*innen vorschlage, wenn sie zu mir in die Praxis kommen.

 

 

Abschließende Gedanken

 

Die aktuellen Ereignisse im Ahrtal haben mich bewogen, diesen Artikel zu schreiben. Neben allem, was die Flutopfer an materieller Hilfe brauchen, wird es wertvoll sein, psychologische Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

 

Womöglich erinnerst du dich noch daran, dass ich einen Artikel über Traum und Körperarbeit geschrieben habe. Auch dieser könnte es wert sein, nochmals zu lesen.

 

Wenn du Fragen oder Anmerkung zu diesem Artikel hast, hinterlasse gerne einen Kommentar.

 

 

Last Updated on August 13, 2021 by Dr. Ruth Mischnick