Mehr als nur auf dem Boden liegen

 

Die Feldenkrais-Methode

Heute steht das Wort »Feldenkrais« vor allem für eine Methode, seinen Körper in Bewegung besser kennenzulernen. Und dies nicht nur in der Theorie auf dem Papier, auf schönen Schautafeln etwa, die man dann gleich wieder vergisst, sondern ganz prak­tisch in Aktion und unter Anleitung eines Feldenkrais Therapeuten.

Es ist eine sehr wirksame Lernmethode, die den Menschen be­fähigt, durch das bewusste Wahrnehmen der eigenen Bewegun­gen sein Bewegungsleben zu aktivieren und zu verbessern. Die Methode ist nach dem Mann benannt, der sie entwickelt hat, Dr. Moshe Feldenkrais.

 

Wer kann von Feldenkrais profitieren?

Im Grunde kann jeder Mensch diese Methode anwenden, vom Baby bis zum Greis, vom behinderten Menschen bis zum Spit­zensportler, es gibt sogar ein spezielles Feldenkrais-Training für Tiere, zum Beispiel für Pferde oder Hunde.

Wer sich gut bewegt, der lebt besser, und jeder kann seine Be­wegungsmuster noch optimieren. Der Gewinn ist mehr Bewe­gungsfreude und weniger Bewegungsschmerzen. Viele Schmer­zen unserer Muskeln oder Gelenke sind darauf zurückzuführen, dass wir uns unökonomisch, entgegen der Schwerkraft, bewegen und dadurch unseren Körper zu sehr belasten. Das heißt, die auf­gewendete Energie wird nur teilweise in Bewegung umgesetzt. Dies führt dazu, dass der Körper steif wird, dass es zu Schmerzen kommt und dass viele einfache Bewegungsmuster, etwa auf dem Boden oder in der Hocke zu sitzen, verloren gehen.

Ob man chronischen Bewegungsschmerzen vorbeugen möch­te oder ob man schon davon betroffen ist – mit Feldenkrais kann jeder lernen, wie er selbst etwas dafür oder dagegen tun kann. Am besten funktioniert das mit einem Feldenkrais-Lehrer im Gruppenunterricht oder in Einzelstunden. Es ist aber auch mög­lich, anhand von Büchern Feldenkrais zu lernen und zu üben.

Ich will Ihnen Feldenkrais näherbringen und helfen, die ersten Schritte auf dem Feld dieser Lehre zu machen. Doch auch wenn Sie bereits Erfahrung mit Feldenkrais gemacht haben, können Sie natürlich von den Übungen profitieren. Insbesondere auch bei Rückenproblemen.

 

Der Entwickler Dr. Moshé Feldenkrais

Der Begründer dieser Methode ist Moshe Feldenkrais, ein Physiker, 1904 in der Ukraine geboren, 1984 in Paris gestorben. Feldenkrais fand seinen Weg durch eine mehrfache Knieverletzung, die er sich beim Sport zugezogen hatte. Statt sich mit ungewissem Ausgang, wie ihm die Ärzte selbst sagten, operieren zu lassen, suchte er mit der Intelligenz des Physikers und der Leidenschaft eines außergewöhnlichen Menschen auf dem Wege vieler kleiner Bewegungsexperimente nach Möglichkeiten, sein Knie auf eine neue Art und Weise zu gebrauchen. Und tatsächlich konnte er es nach einem Umlernprozess nach einiger Zeit wieder problemlos einsetzen. Er hatte entdeckt, wie viel vergessenes und nie entwickeltes Bewegungswissen in seinem Körper steckte und dass es möglich ist, dieses aufzuspüren und dem vorhandenen Bewegungsprogramm hinzuzufügen. Daraus baute er im Laufe von Jahren seine Methode des Körperlernens auf.

Feldenkrais führte ein im wahrsten Sinne des „Wortes bewegtes Leben. Er war viel unterwegs, vor allem in Europa, später auch in Amerika und verbreitete seine Lehre international. Seine Methode des dynamischen Körperlernens durch Selbsterfahrung wird heute auf der ganzen Welt geschätzt. Der internationale Durchbruch gelang ihm, als er in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts den damals weltbekannten Geiger Yehudi Menuhin erfolgreich behandelte.

 

Veränderung der Bewegungsmöglichkeiten

Eines vorweg: Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, Feldenkrais ist keine Gymnastik. Gymnastik basiert nämlich auf der Annahme, dass man zu schwache Muskeln hat und diese daher kräftigen muss. Der Körper wird als etwas angesehen, das bearbeitet, umgeformt, gestärkt werden muss. Gymnastik will die ge­wohnte Arbeit der Muskeln verbessern, deren Be­wegungen aber nicht verändern. Sie fragt daher weniger danach, ob die Muskeln vielleicht anders oder ob möglicherweise andere Muskeln für dasselbe Ziel bewegt werden sollten. Das jedoch ist der Ansatz der Feldenkrais-Methode. Sie geht von der Idee aus, dass Veränderungen leicht möglich sind, wenn die neuen Bewegungen angenehmer sind als die alten. Dann sind sie besser, also ökonomischer und schonender.

 

Körperintelligenz

Körperintelligent ist jemand, der sich, ohne viel nachzudenken, optimal bewegt. Also sich so bewegt, dass die Belastung nicht einen Körperteil überlastet, sondern sich möglichst auf den ganzen Körper verteilt. So, wie es in unserem Körperbauplan natürlicherweise angelegt ist.

Ein typisches Beispiel für mangelnde Körperintelligenz ist die Art und Weise, wie viele Menschen mit ihrer Taille umgehen. Sie glauben, ihr Oberkörper drehe sich am besten um die Taille, und so bewegen sie sich dann auch, wenn sie sich etwa im Stehen oder Sitzen umdrehen wollen und sich praktisch auseinanderschrauben. Unglücklicherweise sind aber die Muskeln der Taille, des unteren Rückens, für solche Bewegungen nicht angelegt. Hingegen ist das Becken — genau gesagt sind es die Hüftgelenke — so konstruiert, dass es dem Oberkörper diese Bewegung sehr leicht ermöglicht.

Diese Körperintelligenz wird Ihnen durch Feldenkrais vermittelt. Durch die Übungen lernen Sie, Ihren Körper zu spüren und bewusst wahrzunehmen und sich so zu bewegen, wie es von der Natur gedacht ist.

 

Eine Art Meditation

Man könnte Feldenkrais auch durchaus als eine Art westliche Meditation verstehen, eine Methode, die aus unserer abendländischen Kultur der Vernunft hervorgegangen ist. Durch differenzierte Selbstbeobachtung macht es dieses Körperlernsystem möglich, dass wir uns selbst finden, dass wir den Körper besser benutzen lernen und wieder mehr zu uns selbst kommen. Und zwar nicht nach der Lehre von irgendeinem Guru, sondern genau so, wie man es selbst braucht. Durch Feldenkrais werden Sie nicht nur sensibler sich  selbst gegenüber, sondern auch Ihr Blick auf die Außenwelt verändert sich. Das hat sehr viel mit Meditation, mit »sinnender Betrachtung« zu tun.

Wenn Sie sich näher mit Feldenkrais beschäftigen, werden Sie bald bemerken, dass die Methode nicht nur den Körper beeinflusst, sondern letztlich auch Geist und Seele flexibler macht, also den ganzen Menschen behandelt. Je beweglicher Ihr Körper ist, desto beweglicher wird auch Ihr Geist. Psychische Blockaden lösen sich, Sie fühlen sich insgesamt freier und entspannter.

 

Weniger Schmerzen durch Feldenkrais

Feldenkrais ist nicht dazu da, den Körper zu reparieren. Es ist keine medizinische Behandlung, sondern eine Methode, die Menschen hilft, die Kontrolle über ihr Bewegungsleben zurück­zugewinnen. Natürlich kann so auch Menschen geholfen werden, die ein organisches Leiden haben. Wenn ein Feldenkrais-Therapeut zum Beispiel mit einem Arthritispatienten zu tun hat, wird er diese Krankheit zwar nicht aus der Welt schaffen können, doch kann er dem Patienten helfen, neue Bewegungsmuster zu finden und so die Belastung der betroffenen Gelenke zu reduzieren und Schmerzen abzubauen.

Dasselbe gilt für Bandscheibenprobleme. Auch in einem solchen Fall stellt sich die Frage: Wie kann sich der Mensch bewegen, dass sich sein Wohlbefinden steigert? Welche neuen Bewegungen können jene ersetzen, die ihn schmerzen? Feldenkrais hilft, dafür Lösungen zu finden und gleichzeitig die Furcht vor dem Bewegen zu mindern, weil die neuen Bewegungen nicht schmerzen.

 

Das ist Feldenkrais

Feldenkrais ist eine Lehre über effiziente Bewegungen, denn streng genommen gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt aber ein subjektives Besser oder Schlechter, das ganz auf Sie zugeschnitten ist. Feldenkrais hilft Ihnen, mehr von Ihrem Besseren zu finden.

Feldenkrais kann Ihnen helfen, neue Wege zu gehen, um ein körperliches oder seelisches Problem, mit dem Sie sich herumschlagen, kleiner zu machen oder sogar ganz verschwinden zu lassen. Sie heilen sich damit sozusagen selbst. Denn neue, bessere Perspektiven verändern immer die alten, nicht so guten Gewohnheiten.

Sie können die Erkenntnisse, die Sie durch Feldenkrais gewin­nen, auf den Sport und auf all Ihre alltäglichen Bewegungen übertragen.

Feldenkrais ist ein Lehr- und Lernsystem zur körperlichen Selbstfindung. Es ist die Einführung in ein ganz persönliches Lernumfeld, in dem Sie nach der Methode »Versuch und Irr­tum« Ihre eigenen, für Sie richtigen Lösungen finden können. Sie werden zwar unterstützt vom Feldenkrais-Lehrer, der na­türlich auch seine Erfahrungen einbringt, letztlich haben aber Sie die Verantwortung. Vordergründig werden der Körper und seine Bewegungen angesprochen, gemeint ist aber das ganze Leben.

Die Aufgabenstellung bei Feldenkrais ist vergleichbar mit einer Ernährungsumstellung. Wenn jemand, der sich lange Zeit falsch ernährt hat, seine Ernährung umstellen möchte, könnte er ir­gendwelchen Diätaposteln nachlaufen und dabei Misserfolge und Lustlosigkeit ernten; das wäre das Gegenteil von Feldenkrais. Oder er kann sich mit seiner Ernährung beschäftigen, sei­nen Geschmackssinn wiederentdecken, ebenso sein wahres Hungergefühl, und sich so durch Versuch und Irrtum langsam an sein persönliches Ernährungsoptimum herantasten. Das geht durchaus mithilfe von Ratgebern, aber letztlich muss er seinen Weg selbst finden. Was er finden würde, wären keine auf Dau­er nutzlosen Diäten, sondern neue Essgewohnheiten. Dieser Mensch würde dann grundsätzlich mit mehr Genuss bei Tisch sitzen und sich dauerhaft insgesamt wohler fühlen. Und dies entspricht der Feldenkrais-Methode.

 

Wunderwerk Bewegungsapparat

Denkt man über den Bewegungsapparat und seine Komponen­ten nach, so fallen den meisten Menschen wahrscheinlich Gelen­ke, Sehnen, Bänder oder Muskeln ein. Neuerdings wird auch viel über Faszien geforscht. Man kann diese Elemente so einteilen:

Der sogenannte passive Bewegungsapparat besteht aus An­teilen, die mehr oder weniger statische Funktionen erfüllen. Aus ihnen selbst kann keine Bewegung entstehen. Hierzu ge­hören die Knochen, der Knorpelbelag, Sehnen und Bänder. Der aktive Bewegungsapparat ist die Muskulatur. Durch die Kontraktion der Muskulatur entsteht Bewegung.

Die Faszien stehen nach jetzigem Wissensstand ein bisschen da­zwischen. Dieses Gewebe wurde früher häufig übersehen bzw. als einfaches Gleitgewebe eingestuft, doch seit einiger Zeit steht es i m Fokus der Wissenschaft und wird sehr intensiv im Zusam­menhang mit Bewegung erforscht. Die Faszien sind im ganzen Körper verteilt und verbinden als Netzwerk sämtliche Körperstrukturen miteinander. Zum einen besitzt das Fasziengewebe eine wichtige Funktion als Rezeptor, denn alle wichtigen Körper­fühler (= Rezeptoren) finden sich im Bereich der Faszie. Zum an­deren hat es eine Bewegungsfunktion. Richtig eingesetzt kann die Faszie Bewegung unterstützen und weniger aufwendig gestalten.

 

Schaltzentrale Nervensystem

Es fehlt aber noch ein wichtiger Bestandteil für die Funktion des Bewegungsapparates: Das Nervensystem ist primär Ausgangs­punkt jeder Bewegung. Erst wenn hier Bewegung als Gedan­ke entsteht, können die übrigen Strukturen tätig werden. Zu der Planung von Bewegungen gehört jedoch deutlich mehr, als nur das einfache Aktivieren der für die Bewegung notwendigen Muskeln.

Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist die Stabili­tät. Jede Bewegung braucht als Grundlage und Ausgangspunkt Gleichgewicht. Dieses Gleichge­wicht kann auch als globale Stabilität bezeichnet werden. Die Grundlage der globalen Stabilität stellt die lokale Stabilität dar. Diese Begriffe wer­den weiter unten genauer erläutert.

Zurück zu den funktionell wichtigen Bestand­teilen des Bewegungsapparates. Erst das Zusammenspiel von passivem und aktivem Bewegungsapparat mit dem Nervensystem ermöglicht eine Bewegung.

Das Nervensystem braucht Informationen, in welcher Position oder Haltung sich der Körper gerade befindet, welche Muskeln eingeschaltet werden müssen, um eine erfolgreiche Bewegung zu vermitteln. Auch benötigt das Nervensystem ein Feedback, wie erfolgreich die Bewegung ausgeführt wurde. Erst wenn alle diese Informationen erfolgreich verarbeitet wurden, kann Bewegung entstehen. Der Gehirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther schreibt: Feldenkrais ist ein Verfahren, das sich besonders gut für das somatische Lernen eignet, für das Lernen zwischen Körper und Geist.

 

Am besten Sie überzeugen sich selbst: Hier ist eine Feldenkraislektion für Sie, die Sie in aller Ruhe ausprobieren können. Viel Spass auf Ihrer Entdeckungstour!

 

Last Updated on Juni 17, 2018 by Dr. Ruth Mischnick